Sarmatismus
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Musée Palais de Wilanów

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Musée Palais de Wilanów

Sarmatismus
Antoni Stanisław Szczuka

Mit dem Begriff des „Sarmatismus” bezeichnet man eine Staatsdoktrin, eine politische Ideologie, ein Lebensstil sowie die Sitten, Weltanschauung, Kulturströmung und Kultur der Szlachta der polnisch-litauischen Adelsrepublik im 16., insbesondere im 17. Jh. bis zum Zeitpunkt der Konföderation von Bar und der ersten Teilung des Staates im Jahre 1772. Immer öfters wird allerdings vermerkt, dass sich mit diesem Begriff mitnichten der gesamte Umfang der geistigen und materiellen Kultur der Szlachta in dieser Epoche beschreiben lässt.

Der altpolnischen Epoche war der Begriff des „Sarmatismus” unbekannt. Der Terminus erschien erst in den 60er Jahren des 18. Jh. im Zuge der von den Aufklärern geäußerten Kritik. Damals auch schrieb man in einem der Artikel der Zeitschrift „Monitor” (Nr. 30) über die Dummköpfe des Sarmatismus, die über zweihundert Jahre lang hinweg den Staat lächerlich machten. Mit diesem Namen wurden Adlige bezeichnet, die sich durch Dummheit, Rückständigkeit, Provinzialität, Abneigung gegen Ausländer, Xenophobie, Streitsucht, Trunkenheit und Größenwahn charakterisierten und sich als Verfechter der Verteidigung der adligen Freiheiten einen Namen machten. Im Wörterbuch der Polnischen Sprache erklärte Samuel Bogumił Linde den Sarmatismus durch Rauheit der Sitten und Grobheit. In den  80er Jahren des 18. Jh. wurde zwar die Einstellung zum Sarmatismus ein bisschen entschärft (als es sogar zur Entstehung der Begrifflichkeit des aufgeklärten Sarmatismus kam), der Begriff blieb dennoch auch in den folgenden Jahren mit der  negativen Konnotation behaftet.

Die Etymologie des Wortes „Sarmatismus” bezieht sich auf das antike Land Sarmatien und dessen Bewohner, die als Sarmaten bezeichnet wurden. Jan Długosz berief sich in seiner Chronik auf die Aussagen der antiken Gelehrten und identifizierte das Europäische Sarmatien mit den Ländern Nordeuropas, die Polen und Ruthenen wiederum als die Nachfahren der antiken Sarmaten. Er behauptete dabei: Ich halte also für wahr und echt jenen Namen [Sarmatien], den die Antike den Polen und Ruthenen verlieh. Einen fruchtbaren Boden fand diese Theorie in der Epoche der Renaissance. Mit dem Rückgriff auf antike Quellen und der Mode, nach den Ursprüngen der eigenen Genealogie zu suchen, zeigte auch der immer mächtigere (in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht) polnische Staat vermehrt Interesse am Besitz einer eigenen antiken Provenienz. Die Abstammung von einem antiken iranischen Kriegervolk verlieh  Glanz der damaligen Gesellschaft und erfüllte sie mit Stolz.

Weitere Historiografen des 16. Jh. (wie etwa Maciej Miechowita, Marcin Bielski, Marcin Kromer, Maciej Stryjkowski oder Stanisław Sarnicki) entwickelten und popularisierten den Mythos der sarmatischen Herkunft. Bei fehlenden Belegen für die jeweiligen Thesen wurde die entsprechende Tradition einfach erfunden. Die Anknüpfung an die biblischen Anfänge in Babylon und das Zurückführen der Sarmaten auf einen der Söhne Noahs (je nach Schriftsteller auf Jafet oder Asarmot) bis hin zu Jan (dem Vater von Lech und Czech  – die mythischen Gründer Polens und Böhmens) verlieh dem zeitgenössischen Adel mehr Ansehen, da seine Geschichte nun in die allgemeine Historiografie eingefügt wurde, wichtiger noch – in die antike und christliche Tradition.

Die Idee der gemeinsamen sarmatischen Abstammung der Ethnien, die damals die Länder unter der Herrschaft der Jagiellonen bewohnten, wurde allmählich von der Gesellschaft akzeptiert und angenommen. Auf diese Weise wurden die Polen, Litauer und Ruthenen integriert. Die sarmatische Ideologie wurde zur Grundlage für die formale Entstehung der Republik der Beiden Nationen infolge der Realunion von Lublin (1569). Die Nationen unterschiedlicher Glaubensrichtungen benötigten eine Idee, die sie zu einem einheitlichen politischen Gebilde vereinigen würde. Der Mythos von der sarmatischen Herkunft erfüllte eben eine solche integrierende Rolle. Durch Schriftsteller und Dichter, die den sarmatischen Mythos verbreiteten, galt Sarmatien Ende des 16. Jh. bereits als Synonym der Republik der Beiden Nationen, und die Sarmaten als deren Einwohner. Bald allerdings wurden Sarmaten ausschließlich als Vorfahren der Szlachta angesehen. Mit Sicherheit war die gemeinsame Abstammung, die sich nicht nur in die europäische, sondern auch in die Geschichte der Welt, in die antike Historiographie und die biblische Tradition einfügte, eine Idee, mit der sich jeder Adlige gerne identifizierte. Der starke und mächtige europäische Staat stand den anderen Ländern in Bezug auf die eigene geschichtliche Tradition in nichts nach. In den Schriften setzte sich allmählich der Begriff der „adligen Nation” durch, der die Szlachta Polens und Litauens – die Bewohner Sarmatiens vereinigte – und auf diese Weise die alten Grenzen zwischen den beiden Staaten verwischte. Der sarmatische Mythos übte allerdings auch einen starken Einfluss auf die städtische Bürgerschaft aus (vor allem auf dem Gebiet des Königlichen Preußens).

Im Laufe des 17. Jh. wurde der Mythos so überarbeitet, dass man ihn verschiedenen Zwecken und Zielen anpassen könnte. Auf diese Weise ließen sich viele politische Entscheidungen rechtfertigen, wie etwa der Drang nach Osten und die sog. „Dimitriadi“ des 17. Jh., polnische bewaffnete Interventionen auf dem Gebiet des Moskauer Staates, mit dem Ziel, Einfluss über die Moskauer Außenpolitik zu gewinnen. In der Barockzeit wurde dieser Mythos bei Agitationen und Propagandakampagnen jeder Art eingesetzt, sowohl in Außen- als auch Innenpolitik des polnischen Königsreichs und des Großfürstentums Litauen.

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Die geografische Lage Sarmatiens an der Schnittstelle zwischen dem Westen und dem Osten wurde für dessen kulturellen Synkretismus von entscheidender Bedeutung. Der Westen gehörte demselben Kulturkreis an: der griechisch-römischen Tradition, der durch die Szlachta so geliebten Antike und dem vorherrschenden christlichen Glauben. Gleichzeitig aber übte der für barbarisch gehaltene Osten mit seinem Orientalismus auf den Adel eine besondere Anziehungskraft aus. Dort suchte man nach Inspirationen – in der Gebrauchskunst, in Bezug auf die Waffen und Motive, die dann u.a. in die Tracht der Adligen den Einzug hielten. Der Osten stand allerdings auch für den Islam und wenn man dabei den Triumph der Gegenreformation im 17. Jh. berücksichtigt, so begann sich auch Sarmatien für das Bollwerk des Christentums (antemurale christianitatis) zu halten, für eine Festung Westeuropas, die den Rest des Kontinents vor der Islamisierung schützte. Man glaubte, die Sarmaten würden eine wichtige Rolle in der geschichtlichen Mission der Verteidigung des Alten Kontinents spielen. So geschah auch in der Schlacht bei Wien (1683).

Es wurde oft betont, die sarmatische Nation sei das auserwählte Volk Gottes. Diese These entstand allerdings keinesfalls erst im 17. Jh., im Zuge der türkischen Bedrohung. Sie bereits taucht bereits in der 1587 verfassten Chronik von Stanisław Sarnicki. Im Laufe des 17. Jahrhundert wurden also frühere Ideen des Messianismus weiterentwickelt. Als besonders messianistisch, nahezu kurios gilt dabei das Werk von Wojciech Dembołęcki, deren Autor gar behauptet, Gott hätte im Paradies mit Adam und Ewa Polnisch gesprochen. Trotz seiner Irrationalität lassen sich Dembołęckis Werke als das Symbol der Epoche bezeichnet.

Das Volk der Sarmaten galt nicht nur als auserwählt, um die Mission der Geschichte zu erfüllen, man glaubte sogar, Gott persönlich schütze das – wie man meinte – perfekte politische System der Adelsrepublik. Immer öfters wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der „Demokratie der Szlachta” über keine Grundlage verfügt. Der polnisch-litauische Staat war eine Monarchie, auch wenn die Szlachta mithilfe der erkämpften Privilegien einen weitreichenden Einfluss auf die Verwaltung des staatlichen Lebens ausübte. Die adligen Privilegien, oft als Freiheiten bezeichnet, waren das von der Szlachta am meisten gelobte Element des Systems und aus diesem Grund auch das am meisten geschützte. Die Adligen verspürten kein Bedürfnis, irgendwas ändern zu müssen, viel mehr das bestehende System beibehalten, da diese ihnen die Teilhabe an der Macht einräumte. Die Tyrannei, die absolute Herrschaft, die Willkür des Monarchen, die man sowohl den westlichen Ländern als auch Moskau diagnostizierte, sorgten dafür, dass man stets für die Verteidigung der Rechte und der Freiheit vortreten musste. Sarmatien galt dabei als eine einsame Insel mit dem perfekten, von den Vorfahren erkämpften politischen System.

Neben der Beteiligung an der Macht im Staat galt es als Pflicht aller Sarmaten, Kriege zu führen. Durch die Abstammung von einem antiken Volk der Krieger wurden auch den adligen Zeitgenossen dieselben Werte zugewiesen – vor allem die ritterliche Tapferkeit und Freiheitsliebe. Der katholische Glaube, die Freiheitsliebe und die Verteidigung des Vaterlandes galten als die drei wichtigsten und mitunter in einem Atemzug genannten Werte der Szlachta – der Gegenstand ihres Kults aber auch des Schutzes. Sie wurden an die nächsten Generationen weitergegeben.

Alles, was von den Ahnen stammte, galt als heilig. Vornehmlich seit der zweiten Hälfte des 17. Jh. begannen die einzelnen Adelsfamilien zunehmend, nach den eigenen Vorfahren zu suchen. Besonders beliebt wurden dabei die Wappenbücher – mit zahlreichen Legenden versehen, die von der Erlangung des Adelsprädikats handelten. Die Erinnerung an die Heldentaten der Ahnen wurde stets wach gehalten, sie selbst als Beispiel herangezogen. Die idealisierten Ahnen charakterisierten sich durch eine bestimmte Kombination an Werten: Ritterlichkeit, Tapferkeit, Mut, Tüchtigkeit, Frömmigkeit, die allerdings auch durch den Oberbegriff der Tugend ersetzt wurde. Oft erfand man fantastische Geschichten, um die Vergangenheit der jeweiligen Familie in die Geschichte der Adelsnation, der polnisch-litauischen Adelsrepublik, Europas und sogar die Geschichte der Welt einzufügen. Es wurde dabei die möglichst antike Abstammung der Geschlechter betont, der Kult um den Adelsstand gepriesen sowie auf das einfache und raue Leben der Ahnen hingewiesen. Die einfache Lebensweise, die man in den Landgütern anstrebte, sollte der Vorliebe für Prunk, Luxus und Privatleben gegenüber gestellt werden. Nicht berücksichtigt wurde allerdings der Prunk, den man beim Zeremoniell diverser adliger Feierlichkeiten an den Tag legte. Es wurde nämlich gerne gefeiert – alle wichtigen Ereignisse wurden mit einem besonderen Rahmen versehen. Die Lebensart charakterisierte sich durch Prunksucht, Luxus und reiche Ausstattung. So wurden auch die Reden gehalten – sowohl über die staatliche als auch private Angelegenheiten.

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In den altpolnischen Schriften wurden nicht nur die Ahnen, sondern auch die von ihnen erfundene politische Ordnung idealisiert – die vollkommene Gleichheit und Freiheit, keine Anstrebung der absolutistischen Macht seitens des Königs, die volle Freiheit der Szlachta in der Wahl ihrer Herrscher. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Gleichheit innerhalb des Adelsstandes nur noch scheinbar. Die Utopie der glücklichen Zeitalter, die Idee der Rückkehr zum früheren Glanz und Ruhm ihrer Ahnen verlieh dem zeitgenössischen Adel das Gefühl der Kontinuität und Verbindung mit der Tradition.

Die Szlachta setzte sich zum Ziel, den Staat, vor allem dessen System zu verteidigen. Darauf basierte der Traditionalismus, der mit der Zeit in Xenophobie, Misstrauen gegenüber alles Fremde (vor allem gegenüber andere politische Modelle) und Konservatismus sowie für die Einstellung, eine besondere Nation zu sein, mutierte. Dies wiederum führte zum Größenwahn: man lebte nicht nur in einem Land mit perfektem politischem System, Sarmatien war zu all dem der Getreidespeicher Europas und das Bollwerk des Christentums. Dies hatte zufolge, dass sich die stolzen Sarmaten immer mehr vom Rest der Welt abschirmten. Sie verbrachten immer mehr Zeit in eigenen Landsitzen, die sich wirtschaftlich und kulturell selbst versorgen konnten. In den Adelshäusern strebte man nach dem ruhigen, anständigen Leben, fernab der Gefahren und Kriege. Die arkadischen Motive, die von den Dichtern der Renaissance etabliert wurden (Mikołaj Rej und Jan Kochanowski), fanden in der barocken Adelsdichtung ihre Fortsetzung.

Einerseits der Lob des einfachen Lebens, andererseits der Prunksucht und Liebe für Detail, die vor allem in der Kunst sichtbar wurden, machten die sarmatische Kultur zu einem originellen Gebilde. Ebenso wie die vom Adel angestrebten moralischen Ideale. Einerseits galt der Sarmate als ein edler und tapferer Ritter, der große Hoffnung in Gott legte und deren Glauben verteidigte. Andererseits sollte er ein anständiger Hausherr und Landmann sein, der ruhiges Leben und die ländliche Idylle liebt.

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